28 Jahre Waldorfkindergarten St. Wendel von Redaktion. Der Artikel erschien im Keime-Heft 1/19 auf S. 14 und 15
Foto: Waldorfkindergarten St. Wendel
Liebe Frau Schifftner - mit dem Neustart des Kulturkalenders „Keime für die Zukunft“ stellen wir uns die Aufgabe, die regionalen Initiativen wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen und sie miteinander zu vernetzen. Hiermit machen wir einen Anfang. Wie entschieden Sie sich für St. Wendel?
Entscheidend für mich war der Impuls, der in dieser Initiative lebte. Herr Schmidt und Herr Altmeyer meinten: Wir schlagen ein Zelt auf dem Rathausplatz auf und fangen einfach an. Das hat mich beeindruckt. Dieser Impuls, dieser Wille.
Wie entwickelten sich Ihre räumlichen Verhältnisse? Zunächst gab es die alte Villa Thelen. Die untere Etage wurde der Kindergarten. Der Raum ganz oben wurde der Eurythmieraum. Es war sehr schön, mit kleinem Garten. Bald wurde es zu eng mit 20 Kindern. Wir brauchten neuen Raum für die Krippe. Wir fanden ein wirklich großes Gelände in der ehemaligen französischen Kaserne. Und wir bauten neu. Das war nicht unproblematisch. Auch heute noch kämpfen wir mit Baumängeln. Aber wir schafften es mit großer Hilfe der Waldorfschulen in Saarbrücken, Bexbach und Walhausen, privater Freunde und Förderer des Kindergartens und bekamen ganz neue Möglichkeiten.
Empfinden Sie es als Glücksfall, einen großen Bau und ein großes Grundstück zu haben?
Ja, es war ein Glücksfall, eine derartige große Fläche zu bekommen. Es sind 3500 qm Gesamtfläche. Wir mussten überlegen, wie man in diesen weiten Räumen eine gute Hülle für die Kinder schaffen kann. Die Kinder kommen von zuhause aus kleinen Räumen und erleben nun diese weiten Räume. Das brauchte für uns Erzieher viel Kraft, die Kinder beisammen zu halten.
Sie haben eine eigene Küche? Wir kochen selbst, jede Gruppe für sich. Das ist eine heilsame, pädagogische Sache. Es geht uns darum, selbst gutes Essen zu kochen und dass die Kinder beim Prozess der Essensbereitung dabei sind. Das setzt einen hohen Anspruch. Früher haben wir Frühstück zubereitet, eine Zwischenmahlzeit und zum Mittagessen gingen sie dann nach Hause. Jetzt bereiten wir ein Frühstück, eine Teepause, ein Mittagessen und einen Nachmittagsimbiss.
Das heißt, wir kochen vollständig, mit allen Vor - und Nacharbeiten. Es ist sehenswert, wie gut die Kinder bei der Vorbereitung des Essens mitarbeiten. Bis hin zum Putzen des Salates und des Schälens der Kartoffeln und Möhren! Und das nebenher. Das bringt unsere Arbeit manchmal an pädagogische Grenzen. Da bleibt wenig Raum für anderes.
Die Kinder erleben aber die sich wöchentlich wiederholenden, nachvollziehbaren und sinnhaften Handlungsabläufe, die der Gemeinschaft dienen. Das ist gerade für Kinder in unserer heutigen Zeit wichtig. Sie brauchen eine Struktur, eine Form, eine wiederkehrende Tätigkeit, einen Rhythmus.
Die Kindergärten haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Man spricht jetzt von Tagesstätten. Ist Ihr Kindergarten auch eine Tagesstätte? Ja. Zum Frühstück kommen immer mehr, weil sie meistens weite Fahrtwege haben und oft nicht mehr zu Hause frühstücken. Die Eltern sind froh. Viele Kinder, die ankommen, müssen auch erst einmal „glattgestriegelt“ werden, damit sie essen können. Es läuft eben heute im Leben der Kinder vieles sehr hektisch ab. Da bleibt das rein pflegerische, angefangen bei der Ernährung, oft auf der Strecke. Wir sehen darin eine unserer Prioritäten. Es geht nicht darum, abstraktes Wissen zu vermitteln, sondern alltägliches Leben und Kulturtechniken zu vermitteln.
Es wird immer wieder gesagt, die Waldorfkindergärten können sich die Kinder aussuchen. Welche Kinder nehmen Sie auf? Ich will alle aufnehmen. Voraussetzung ist lediglich, dass die Eltern das tolerieren, was wir machen. Ich frage z.B. nicht, ob sie zu Hause fernsehen. Persönlich habe ich eine Neigung zu den besonderen Kindern, den „verhaltensoriginellen“ Kindern.
Foto: Waldorfkindergarten St. Wendel
Einmal in der Woche werden in den Waldorfinitiativen Konferenzen gehalten. Gibt es das bei Ihnen auch?
Ja, regelmäßig. Dabei bemühen wir uns, hygienisch zu sein und uns nicht zu verzetteln. Uns ist wichtig, dass die Privatzeit der Mitarbeiterinnen nicht zu kurz kommt. Die Jüngeren schaffen das ganz gut. Wir arbeiten in Gruppen. Unser Wunsch ist, die wichtigsten Gespräche in denjenigen Gruppen durchzuführen, die zusammenarbeiten. Dann einmal im Monat eine Gesamtkonferenz mit allen Personen. Dort fragen wir uns dann: Was zeichnet die Waldorfpädagogik aus? Wo findet sie bei uns statt, wo nicht? Natürlich auch Organisatorisches und recht viel Öffentlichkeitsarbeit. Das Problem ist stets, das Wesentliche zusammenzutragen. Man muss die Fäden halten!
Wie arbeiten Sie Mitarbeiter*innen ein? Werden auch Vorträge von Rudolf Steiner gelesen?
Früher machten wir Lese- und Inhaltsarbeit. Auch im Vorstand. Aber das ist nicht mehr haltbar. Man kann das ja auch anders machen: Wir nehmen uns ein Themengebiet vor und schauen es an, z.B. den Rhythmus, der die Grundlage unserer Arbeit ist. Wir nehmen dann nicht gleich den Text, sondern fragen: Wie erlebt jeder das Gebiet? Wie kann er es umsetzen?
Es geht in allen Gruppen immer um den Blick auf das einzelne Kind. Was braucht das Kind? Wie muss der Rhythmus sein? Was und wie spielt ein Kind? Was kommt vom Himmel herab? In welcher Form bringe ich dieses oder jenes an das Kind heran? Und es wird ausgesprochen, welche geistige Haltung jeder dabei hat.
Auch mit den Eltern haben Sie eine Aufgabe? Die Eltern haben ein Leben neben dem Kindergarten. Viele fänden es gut, wenn wir sie einmal besuchten und ein Elterngespräch führen würden. Das ist nicht möglich. Eltern brauchen dennoch eine klare Linie dessen, was notwendig ist, wie z.B. die Kleidung. Und ansonsten viel Zuspruch. Wir bemühen uns, sie im Richtigen zu bestärken. Es hilft viel, dass ich überzeugen kann und dass ich älter als die meisten Eltern bin. Ich kann ihnen beruhigend sagen: „Es wird schon“.
Was ist Ihre besondere Rolle als Leiterin? Als Kindergartenleiterin bin ich die „Königin des Rhythmus“. Den gilt es zu halten und immer wieder zu finden. Der Rhythmus ist eine halbgeistige Kraft und mit ihm ist schon ein großer Teil der Arbeit getan. Anders überleben wir das gar nicht. Kinder und Eltern verlangen ihn von sich aus.
Wie überzeugen Sie die Eltern von Ihrer Pädagogik? Es heißt, alles Erste bleibe ewig im Kinde. Darauf bauen wir auf. Also: Erst einmal muss es den Eltern wohlig sein. Sie müssen es nett finden und dann müssen sie das Gefühl haben, dass das Kind eine Anbindung erfährt. Wir fragen die Eltern nicht aus, sondern wir sehen sie uns an, nehmen sie wahr. Wer kommt da? Haben sie den Weg zu uns über die Kinder gefunden? Waren die anderen Kindergärten besetzt oder kommen sie, weil sie wollen, dass es ihren Kindern gut geht? Zurzeit ist es so, dass fast alle Kinder anschließend in die Waldorfschule nach Walhausen gehen.
Vielen Dank für das Interview, Frau Schifftner. Wir wünschen Ihnen und dem ganzen Kindergarten alles Gute mit ihren jungen Keimen für die Zukunft.
Fotos: Waldorfkindergarten St. Wendel
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