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Eine Knoblauchfahne Abstand halten

Es gibt Schauspielkünste, die finden nicht auf Bühnen vor Menschen statt, die Eintritt bezahlt haben. In welche Bereiche Einschränkungen der Kulturszene hineinreichen, wird im folgenden Beitrag deutlich. Fotos: Lilli Breininger, Text: Axel Stirn


Florentine ist als Schauspielerin gescheitert. Sie kann sich die Texte nicht merken. Macht aber nichts. Nicht mehr alles im Hirn, nicht mehr alles auf Zugriff. Das kennen Demente auch. Singen kann Florentine dafür sehr gut. Und mit den Alten klappt das auch ausgezeichnet. Die wissen zwar oft nicht, was gestern war, aber Liedtexte und Gedichte können sie noch auswendig.


Florentine ist eine Clownsfigur. Wenn Heike Laub die rote Nase aufsetzt verwandelt sie sich in Florentine Dibbelabbes, eine närrische junge Frau, heimatlos auf einem Schiff aufgewachsen, das Leben mit allen Sinnen liebend. Sobald sie erscheint, hat sie den Impuls, mit den Mitmenschen in Kontakt zu treten, den Nachbarn zu umarmen, einfach so, vielleicht weil jemand so gut riecht. Aber Corona verlangt nun eine andere Spielweise.

Florentine rede eher wenig und mache lieber Musik, beschreibt Heike sie. „Sie ist eine Person des Hier & Jetzt“, erklärt die Künstlerin. Die Figur der Clownin erfand sie gezielt für die Alten in den Heimen, um in guten Kontakt mit ihnen zu treten. „Oft können die nicht lang konzentriert zuhören. Aber Musik und Florentines Spielfreude verbinden direkt.“


„Die Alten mögen vor allem Lieder zum Mitsingen.“ Sie habe auch schon mal ein Stück von den Beatles gespielt. „Ach“, sei die Reaktion darauf gewesen. „bitte nichts so modernes.“ Seither gäbe es nur noch Zeitloses. Zwischen Klassik, gefühlvollen Chansons, tanzbaren Volksliedern und internationalen Oldies bringt Heikes Florentine die Zuschauer vor allem mit kurzen, improvisierten Szenchen zum Lachen.

„Ich habe meinen Zuschauern auch schon Blumen mitgebracht. Oder etwas andres Wohlriechendes. Oder etwas zum Anfassen. Einmal wünschte sich eine alte Dame den Geruch von Schusterkleber. Sie arbeitete früher in einer Tankstelle. Den habe ich ihr daraufhin besorgt. Es war toll.“



Einmal hatte Florentine das Bedürfnis, sich ein bisschen auszuruhen und es war gerade noch Platz bei einem freundlichen alten Herrn. Es wurde im Liegen gemeinsam Gitarre gespielt und gesungen. „Der Clown ist Vermittler einer anderen Welt.“ sagt Heike. „Er ist sinnlicher, hingebungsvoller als unsere heutigen Normalen. Und vor allem direkt und ehrlich.“

Florentine erzählt münchhausenartige Episoden aus ihrem Leben mit ihren drei Kindern Tom, Marten und Mark, (zusammen Tomatenmark), malt mit wenigen Worten klare Bilder in die Gedankenwelten und spielt mit allem, was die Situation her gibt.


Ihre Schöpferin Heike absolvierte eine Schauspielausbildung, und obwohl sie sich die Texte merken konnte, wechselte sie nach einem Engagement im Theater Überzwerg in die Clownerie. „Der Clown ist der Narr. Er darf alles. Ihm verzeiht man alles.“


Der erste Lockdown bedeutete das plötzliche Ende aller Auftritte. Glücklicherweise hat ihr Mann einen funktionierenden Handwerksbetrieb. Aber ihre Arbeit war erstmal gelöscht.




„Ich lerne auch immer wieder selbst von Florentine. Gerade jetzt bei Corona. Immer wieder erwische ich mich, wie ich anfangen will zu jammern und zu klagen. Dann erinnere ich mich an Florentine. Was würde sie machen? Jammern und klagen? Niemals! Sie ergreift die Situation, wie sie ist, und macht das beste draus. Im Leben lässt sie sich nicht unterkriegen.“


Florentines erste Lockdown-Gedanken galten direkt den alten Menschen, die sie teilweise regelmäßig alle zwei Wochen besucht hatte. Irgendwie musste sie mit den Menschen weiterhin in Kontakt bleiben. Also malte sie Briefe und schilderte in Bildergeschichten, warum sie derzeit nicht zu Besuch kommen könne: Sie hatte bei der verfluchten Hausarbeit ihren Teppich verhext, und war auf diesem versehentlich davongeflogen in unbekannte Gefilde.



Und dann konnte Heike den Lockdown richtig genießen. Sie hatte nach jahrelangem Aufschub endlich mal Zeit, Ordnung in ihre Aufzeichnungen zu bringen. Sie überarbeitete ihre Programme und erstellte Coronakonforme Varianten. Das, was die Alten so liebten, Florentines direkte und körperliche Art, ihre spontanen Küsschen und Umarmungen sind seit der Lockerung nach dem ersten Lockdown allerdings verboten. Ihre Lösung: Florentine war beim Arzt. Der diagnostizierte eine militante Knoblauchfahne. Florentine erklärt: „Mir ist ausdrücklich verboten, zu Nahe an Menschen zu kommen. Ich soll eine Knoblauchfahne Abstand halten. Es soll ja keiner umkippen.“ Heikes Repertoire für Florentine umfasst nun frisch renovierte Clownprogramme für Kinder und ihre lieben Alten. Mit Knoblauchfahne.



„Das Schöne am Clown ist, er darf alles auf die Spitze treiben. Auch die Wahrheit.“ Ist es das, was dich dazu bewegt hat, von der Schauspielerei zur Clownerie zu wechseln? frage ich sie. „Als Schauspieler schreibt man seine Texte nicht selber, jemand anders inszeniert. Als Clown ist man Autor und Spieler in einer Person. Außerdem kann ich sehr viel improvisieren. Dabei entstehen immer schöne Momente, bei denen man sich gegenseitig ergänzt, Melodien genießt, eine schöne Zeit zusammen hat.“



„Und Clowns scheitern“, ergänzt Heike. Das sei der Ausgangspunkt für neues Handeln. Aber, frage ich in die Stille, was geschieht mit der Welt, wenn der Clown nicht mehr arbeiten darf?


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Heike Laub ist professionelle Schauspielerin und Clownin. Sie tritt unter anderem seit Jahren in Altenheimen, Kitas und Kindergärten auf. www.musikclownerie.de


Die Fotografin Lilli Breininger studierte Fotojournalismus in Hannover. Sie erzählt gerne Geschichten mit ihren Fotos, zurzeit die von KünstlerInnen "in Corona". www.lillibreininger.de

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