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Ich in der Krankenhausambulanz

Ein Erlebnis von Wolf-Dieter Musmann


Bild: pixabay.com

Arzttermin um 9 Uhr. Er ist wichtig für Anna. „Bitte kommen Sie eine halbe Stunde früher. Wir haben zurzeit viel Betrieb.“ Die Sprechstundenhilfe legt auf. Eilig packen wir unsere Sachen, um nicht zu spät zu kommen. Wir haben es geschafft. Um 8.30 Uhr stehen wir an der Pforte der Klinik. „Sind Sie angemeldet? Begleitpersonen dürfen nicht mit. Mundschutz ist vorgeschrieben. Meyer, Anna? Ja, Sie sind angemeldet. Gut, ja. Gehen Sie hinauf und melden sich an der Aufnahme der Ambulanz an. Sie bekommen ein Handy, das Sie aufruft, wenn Sie dran sind.“ Ein Wartesaal. 12 Personen, jeweils zwei Meter Abstand. Alle schauen auf ihr Handy. Es ist ein internes Handy. Mein Smartphone hat keinen Empfang. WLAN ist nur für stationare Patienten. Was tun? Keine Zeitschriften. Alle Nachbarn hinter einem Mundschutz versteckt. Keiner sagt ein Wort. Sogar Anna, die Gesprachige, ist still. Was wird der Arzt sagen? Ist es Krebs? Ist es harmlos? Es ging ihr nicht gut. Die Blutwerte. Was das wohl anzeigt? Der Hausarzt war verdächtig einsilbig. Sein Kollege sagte: „Da müssen Sie doch was tun!“ Warten. Alle warten. Alle zehn Minuten, oder auch zwanzig Minuten, hört man eines der Handys. „Bitte gehen Sie in Raum 2 zur Blutentnahme!“ Nach einiger Zeit kommen sie zurück. Warten. Alle sind still – schauen sich schweigend an. Annas Handy tönt: „Bitte gehen Sie in Raum 2 zur Blutentnahme.“ Sie geht sofort. Ich frage mich: „Wieso schon wieder Blutentnahme? Wir sollten doch nur zu einem Abschlussgespräch. Was denken sich die Arzte? Braucht es etwa keinen Grund zur Blutentnahme. Was machen sie nur mit dem vielen Blut? Ist das vielleicht nur Routine? Sicher dauert es jetzt eine Stunde, bis die Ergebnisse da sind. Warten. Alle warten. Schweigend. „Bitte in Raum 2 zur Blutentnahme!“ Einer darf jetzt sogar in Raum 12. Wir warten schon anderthalb Stunden. Was machen die da? Weit und breit kein Arzt. Gelegentlich geht eine Pflegerin vorbei. Am Aufnahmeschalter geschieht nichts. Die Damen sind mal da, mal weg. Alle halbe Stunde ist ein Patient am Schalter. Was geschieht hier? Was machen die mit uns? Konnen die so mit uns umgehen, ohne uns eine Begründung mitzuteilen? Eigentlich erniedrigend. Wir sind ja die Patienten. Die Geduldigen. Aber warum bin ich so ungeduldig? Was entgeht mir denn? Ich schaue auf Anna. Sie schaut zurück. Sie ist völlig ruhig und gefasst. Warum wird sie nicht ungeduldig? Ist Geduld eine Tugend und Ungeduld eine Untugend? Wie machen das die Asiaten und Orientalen? Stunden und Tage verharren sie im Warten. Wir Abendlander schimpfen das Fatalismus. Haben die keinen Stolz, keine anderen Ziele als zu sitzen und zu warten? Ist das Leben im Augenblick? Eine Operettenmelodie fallt mir ein: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Ich fange an, leise zu schimpfen. Anna sieht meine Ungeduld. „Was ärgerst du dich? Wir versäumen doch nichts.“ Zwei Stunden sind rum. Meine innere Spannung hat sich zu einem Ingrimm gesteigert. Morgen werde ich mich bei der Klinikleitung beschweren. Ich gehe zum Schalter. „Der Doktor ist gerade gekommen. Jetzt wird es nicht mehr lang dauern. Warten Sie!“ Ich gehe zurück ins Wartezimmer. Resigniere ich jetzt? Nein. Jetzt nehme ich mir bewusst vor, positiv zu denken. Ich denke, ich versäume nichts. Ärzte und Pfleger sind sicher so belastet, dass sie weder schneller machen konnen, noch die Patienten über die Verzogerung informieren. Es ist einfach unmoglich. Ich will warten. Vielleicht im Sitzen schlafen? Zweidreiviertel Stunden später. Das Wartezimmer ist leer. Nur noch wir sind hier. Ein Aufruf im Handy: „Bitte kommen Sie in Zimmer 11.“ Erleichtert stehen wir auf. Wir gehen durch mehrere Gänge und öffnen das Sprechzimmer. Der junge Arzt lächelt freundlich. Bedauernd sagt er: „Tut mir Leid, dass es so lang gedauert hat. Es war wieder sehr turbulent heute.“

Er spricht sehr gefasst und klar und beleuchtet die Situation. Aber ein Ergebnis gibt es noch nicht. Die Blutwerte lassen noch kein eindeutiges Ergebnis zu. Wir sollen in drei Wochen wiederkommen. Anna sagt draußen: „Siehst du! Er hat sich sogar entschuldigt.“ Ich nicke: „Das machen nur wenige Arzte.“ Und denke: „Ist Ungeduld eine Ich-Schwäche, oder eine Kraft, die zur Veränderung drängt?“ Annas durchweg positive Denkweise hat ihr wohl die Kraft gegeben, ruhig zu bleiben. Aber sie hat auch nichts verändert. Naja, vielleicht ein wenig in mir. Beschwerde habe ich keine geschrieben.

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