Volker Schütz macht Bilder zu Ton und Ton zu Bilder und meint: "Irgendwann sind auch diese beiden alten Toaster für etwas gut." Fotos: Lilli Breininger, Text: Axel Stirn
Lilli und ich betreten eine unrenovierte Altbau-Wohnung. Im dämmrigen Licht gehen wir durch einen engen Gang mit gefüllten Regalen. Am Ende des Gangs kommen wir in ein unmöbliertes Zimmer, dessen Boden komplett voll liegt. "Ich habe extra nicht aufgeräumt für euch. Ein Künstler in Mitten seiner Werke ist doch viel spannender."
Volker Schütz trägt einen Anzug aus dem letzten Jahrhundert und lächelt schelmisch. Schon in der Jugend, erzählt er, war er ein Computer Nerd. Aber auch schon immer der Kunst zugewandt. Studiert hat er Informationswissenschaft, Kunstgeschichte und Linguistik. Im Jahr 1999 machte er Fotos mit einer Lomokamera und begegnete in der zu dieser Zeit berühmten Saarbrücker Galerie Wasserundbrotmaschine dem damaligen Kurator. Dieser saß schweigend auf seiner Couch und schielte leicht abwesend ins Zwischenräumliche. "Kann ich", stotterte Volker herum, "hier mal meine, ... wenn es möglich wäre, ... Ausstellung...?!" Der Kurator hob seinen Blick und fragte: "Welches Sternzeichen bist du?" Volker, viel zu nervös um zögerlich zu sein, antwortete unverblümt: "Löwe." "Gut." flog die Antwort aus des Kurators Mund. "Kannste machen." So kam es zu seiner ersten Ausstellung. Seither sei er Künstler.
Ideen hätte er zwar schon immer welche gehabt, aber keine davon umgesetzt. Mit dieser Ausstellung kam der Stein ins Rollen. "Es braucht ja immer einen Grund, um zu handeln." Allerdings, bemerkt er, könne er nicht auf Knopfdruck zu einem von einer Förderstelle ausgeschriebenen Thema arbeiten. Da falle ihm nur ödes Zeug ein.
"Ich liebe es, Quatsch zu machen." So fange er meistens an. "Mit etwas Abstand", erklärt er, "finde ich dann meistens etwas mit Raffinesse. Überall gibt es versteckte Schätze, die es lohnt zu kultivieren. Gerade bei Geräten. Oft können die historischen Geräte zwar nicht das, was die heutigen können, aber meistens sind sie dafür an einem anderen Punkt viel besser." Dafür interessiere er sich.
Er zeigt auf zwei sichtlich benutzte alte Geräte, die auf einem vollen Karton in seiner Küche stehen. "Irgendwann sind auch diese beiden Toaster für etwas gut." Übrigens, dass es eine Küche ist, erkenne ich an der Sprühsahne auf dem Küchenschrank. Der Rest macht eher den Anschein eines Lagerraums für RetroKunstwerke, die einladen, die berühmte Frage zu stellen.
In seinem Arbeitsraum will Volker uns zuerst sein Oszilloskop vorführen. Dieses Gerät macht, banal gesagt, aus einem Signal Bild und Ton. Nicht wie beim Fernseher. Dort bekommen Ton und Bild jeweils ein eigenes Signal über die Antenne. Hier ist es ein einziges Signal. Volker wählt ein Bild und nutzt einen Algorithmus um sein Signal zu erzeugen. Das Ergebnis, das der Apparat liefert, ist der Sound des Bildes. Oder umgekehrt. Er gibt Töne hinein und bekommt dann auf dem kleinen grünlichen Bildschirm das dazugehörige grafische Bild. "Mit dem Gerät kann man Sachen sehen, die sonst unsichtbar sind."
Er stellt das Gerät an. Direkt erscheinen auf dem Bildschirm sinusartige Kurven mit Ecken und Zacken. "Wäre das Stromnetz stabil und alle Stecker und Adapter in Ordnung müsste man hier das Bild des Saarbrücker Stromnetzes sehen: Eine schöne Sinuskurve." Ich stutze, denn der Sensor des Geräts liegt einfach nur mitten im Raum. "Ja", erklärt Volker. "So misst es einfach das elektromagnetische Feld, das hier in diesem Raum ist." Ich muss an Elektrosmog denken und stehe plötzlich unter Strom. Kein Wunder, denke ich, dass der Schlaf im Wald so erholsam ist.
Für sein nächstes Projekt wurde Volker ein Budget der saarländischen Filmförderung bewilligt. Er will einen kleinen Film mit Narrativ machen. Mit dem Oszilloskop versteht sich. Damit sei er weltweit der einzige. Alle anderen Oszilloskop-Künstler, von denen er wisse, machten nur kleine Animationen.
Sein Film wird von Außerirdischen handeln, die die Erde besuchen. Leider geht bei der Landung etwas schief, so dass sie in einer Pfütze landen. Dort begegnen sie Kaulquappen, die sie für die Bewohner der Erde halten. Sie versuchen mit diesen in eine sinnvolle Kommunikation zu treten, was leider nicht funktioniert. Dann verlassen sie die Erde wieder. Ende.
Ja, mit der Förderung, da habe er Glück gehabt. Sonst lebe er von Projektförderungen, dem Verkauf seiner Bilder und gelegentlichem Honorar. In dieser Hinsicht war 2020 ziemlich mies. Über den Lockdown light bis ins nächste Frühjahr trägt ihn nun diese Filmförderung.
Was würde denn der Welt fehlen, wenn er keine Kunst mehr machen könnte? Er erzählt von einem Institut für Materialwissenschaft, das ihn eingeladen hatte. "Die hatten ein Gerät, mit dem konnten sie die Oberfläche von Material wie mit einem Plattenspieler mechanisch abtasten und daraus ein Bild erzeugen. Bei einigen Bilddarstellungen der Messungen erschien jedoch ein riesiger Berg anstatt kleiner Höhen und Tiefen. Sie hatten dafür zunächst keine Erklärung."
Volker zeigte den Wissenschaftlern seine Körperteilverlängerungsmaschine und erklärte, wie er mit dieser arbeite. Und in der Tat. Das Phänomen war vergleichbar. Anstatt das Atom einfach zu messen, hatte die Maschine das Atom vor sich hergeschoben und so ein monströses Bild erzeugt. Eine gute Analogie in den visuell schönen Fehlern, die den beiden Techniken innewohnen.
Im Reich der tausend Dinge auf dem Boden seines aktuellen Arbeitszimmers steht sie tatsächlich auch: Die Körperteilverlängerungsmaschine. "Im Grunde ist sie eine der ersten Digitalkameras." Aber weil sie zu wenig Speicherplatz hat, eine ganzes Bild auf einmal zu erfassen, taste sie wie ein Scanner den Bildausschnitt mit einer Vertikalen von rechts nach links ab - und druckt das soeben Gescannte direkt auf Thermopapier. "Wenn man nun mit dem Messfeld mitgeht, entstehen eben sehr lange Körperteile."
Für ein anderes Projekt holte er sich aus dem Netz den Algorithmus für ein neuronales Netzwerk, brachte seine Grafikkarte dazu, damit zu arbeiten, und füttert den lernfähigen Rechenapparat nun mit Aktfotografien. Ziel ist es, das Gerät dazu zu befähigen, ein Bild zu erstellen. Ein Vorläufer eines derartigen Versuchs steht bei ihm in der Küche unter der Decke. Es wirkt wie eine Mischung aus Comic-Irrtum und ScienceFiction-Parodie.
"Meine Kunst lässt die Menschen ihre Wahrnehmung hinterfragen. Und ihre Interpretation von Geschehnissen in neuem Licht sehen. Es gibt gerade in der Wissenschaft immer mehrere Objektivitäten. Je nach Messgerät. Es ist wie bei einem Foto von einem tanzenden Tänzer. Das Foto zeigt nicht den Tanz. Aber das denken wir oft nicht mit. Es geht also um die Decodierung der Bilder in Bewegung."
Auf dem Weg nach draußen müssen wir wieder durch den trüb beleuchteten Gang. An einem der Regale bleiben wir noch stehen. "Schaut", Volker zeigt auf drei Geräte, die aussehen wie Koffertaschenlampen. "Das sind japanische Fernseher von Anfang der 1980er Jahre. Die Entwickler hatten die müden Zuschauer im Blick, die schräg oder seitlich auf dem Sofa liegen." Er dreht an der Bildschirmröhre. "Man kann die Röhre beliebig drehen und so der eigenen Kopfneigung anpassen! Heute ist das genial: Ein Röhrenbildschirm, der die Hochkant-Fotos von Handyaufnahmen formatfüllend anzeigen kann. Die Geräte haben übrigens einen Kosenamen und heißen Schlummerli."
Auf der Straße lächeln Lilli und ich uns an. Toll, einigen wir uns. Gut, dass es die Möglichkeit gibt, für so einen sanften Menschen wie Volker weitgehend sorgenfrei zu leben. Seine wundersamen Kunstaktionen beleben unseren oft unkritischen Blick für die digitale und algorithmische Welt auf spielerische Art und Weise. Danke.
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Volker Schütz, geboren 1968 in Neunkirchen, Saar, ist ein deutscher Experimentalfilmer und Fotokünstler. https://volkerschuetz.de/
Die Fotografin Lilli Breininger studierte Fotojournalismus in Hannover. Sie erzählt gerne Geschichten mit ihren Fotos, zurzeit die von KünstlerInnen "in Corona". www.lillibreininger.de
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