Die Geschwister Ben, Niklas und Jovanna sind professionelle Lindy Hop TänzerInnen und führen eine Swing Tanzschule. Was mich an ihrer Arbeit besonders interessiert, ist ihre Grundhaltung. Denn sie sind mehr als Tanzlehrer. Sie sind Botschafter einer herzlichen Kultur. Mit ihren Veranstaltungen und dieser besonderen Kultur sind sie international zu einem beliebten Hotspot für die Lindy Hop Szene geworden. Fotos: Lilli Breininger, Text: Axel Stirn
Die Geschwister erinnern sich. Schon der erste Lockdown ließ keine Zweifel offen: Es musste weitergehen. „Es gibt immer Wege“, sagt Niklas. Kraft und Motivation strahlen die beiden sichtlich aus. Sie entwickelten Online-Kurse, nahmen Videos auf und sendeten hoffnungsvolle Botschaften an ihre Abonnenten. „Bei all den schlimmen Bildern und Botschaften aus den Medien mussten wir einfach Hoffnung verbreiten. Dem 'Alles bricht zusammen!' setzten wir ein lautes 'Nein!' entgegen. „Dafür bekamen wir auch dankbare Rückmeldungen.“
Mit ihren Kursen fanden sie deutschlandweit Beachtung. 180 Kurs-Buchungen fanden in den ersten Wochen statt. Mit Teilnehmenden bis nach Hamburg. Über den Sommer wurde es dann weniger. „Wir haben die Menschen auch aufgefordert, nicht zu viel Zeit vor dem Bildschirm zu verbringen. Geht raus, genießt die Sonne und die frische Luft. Trefft euch, so wie es geht, mit Menschen. Das tut gut. Das war unsere Botschaft.“
Das Hauptgeschäft ihrer Lindy Hop Firma sind zwar die Tanzkurse. „Aber das Herzstück ist der Social Dance.“ Zum Social Dance kommen wöchentlich um die einhundert Menschen und tanzen, sprechen, lassen einfach mal los. „Wenn ich donnerstags hier durch die Türe gehe, bin ich wieder da.“ Ben beschreibt es, als werde ein innerlicher Schalter umgelegt. Woher diese Magie komme, frage ich. Bens Antwort sind ein paar fröhliche Lindy Hop-Tanzbewegungen. „Es ist die Musik“, sagt er. Die aktiviere ihn sofort. Sie fliese in seinen Körper und alle Sorgen des Alltags verflögen.
Als ich vor einigen Wochen eine kleine Recherchereise durch Nord- und Südamerikas Musik- und Tanzgeschichte machte, fiel mir auf, wie essentiell die afrikanischen Einflüsse sind. Schlimm, durchfährt es mich, dass Bewegungen wie "Black Lives Matter" immer noch nötig sind. Seit vielen Jahren tanzen die unterschiedlichsten Menschen zu Musik mit eindeutig afrikanischen Wurzeln.
Die Rhythmen der afrikanischen Kulturen haben ihre Wege in unzählige Herzen auf der ganzen Welt gefunden. „Grundlage des Swing“, sagt Ben, „ist ein einfacher 4/4-Takt. Aber ...“, und wieder tanzt er mit einigen Schritten durch den Raum und hoppt noch ein paar Synkopen. Dann zitiert er Coco Schumann „... wer den Swing in sich trägt, kann nicht mehr im Gleichschritt marschieren.“
Seinen Ursprung hat der Tanzstil in den unterdrückten, ausgebeuteten afro-amerikanischen Szenen der 1930er Jahren in den USA. „Auf den frühen Swing-Tanzveranstaltungen tanzten auch zum ersten Mal Weiße mit Schwarzen zusammen.“ Das war ein großes Zeichen für den Geist der Swing-Kultur. Es erscheint mir, erkläre ich, als sei der Lindy Hop von seinem Wesen her emanzipatorisch. „Er will befreien, mit starren, lebensfeindlichen Regeln brechen und stattdessen Freiheit, individuellen Ausdruck und die Gemeinschaft fördern.“ Die Brüder widersprechen nicht.
Später entwickelten sich aus dem ersten Swing der Jive, der Boogie-Woogie und der akrobatischere Rock ’n’ Roll. „Sogenannte weiße Aneignung fand natürlich auch statt“, erklärt Ben. „Darum legen wir besonderen Wert darauf, die Kultur und den Ursprung bewusst zu machen. Hier an der Wand hängen Porträts von großen Musikern und Informationen über die Geschichte. Wir erzählen auch immer wieder Anekdoten, die wir gut finden. Es gab in den 80er Jahren wichtige Prediger der Lindy Hop Kultur. Tänzern wie Frankie Manning war wichtig, dass es eine Kultur der gegenseitigen Akzeptanz gibt, die im Swing lebt. In dieser Tradition stehen wir.“
Heute zum Interview tragen sie seit Wochen zum ersten Mal wieder ihre Tanzkleidung. Solange war die Pause dieses Jahr noch nie. Aber die ist jetzt auch nötig. „Wir waren durchweg kreativ. Es gab keine Routine. Wir sind ganz schön ...“ Es scheint, als vermeide er das Wort ausgebrannt. Ich versteh gut, was sie meinen, waren sie doch trotz aller Schwierigkeiten im Sommer 2020 sehr aktive Kulturschaffende in Saarbrücken mit tollen Veranstaltungen.
„Im Regionalverband haben wir wirklich einen großartigen Kooperationspartner. Im Sommer gab es zum Beispiel einen hygienekonformen Outdoor Summer Dance hinter dem Schloss. Wir tanzten bis der Rasen nicht mehr mitmachte. Die aufgestellten Flutlichter und der aufgewirbelte Staub schufen eine stimmungsvolle Atmosphäre.“
Das jährliche Velo - Swing Festival zogen sie auch als Special Mini Edition durch. Mit angepasstem Hygienekonzept versteht sich. 80 Menschen, in Hygienegemeinschaften aufgeteilt, erlebten ein fast schon verrückt persönliches Festival. Jeder Programmpunkt wurde für jede Gruppe extra veranstaltet.
Von Juli bis Oktober gab es auch Charleston Führungen im Historischen Museum. Geschulte TänzerInnen führten im Anschluss an den Rundgang mit Spaß an der Bewegung Menschen allen Alters in den durch Josephine Baker berühmt gewordenen Charlestontanz ein. „Einfach mal über andere Formate nachdenken. Tanzen verbindet die Menschen mit ihren Körpern.“
Erschreckt hat die beiden ein wesentlicher Gedanke. „Wenn wir Veranstaltungen machen, haben auch andere Menschen Arbeit - bis zur Putzkraft. Wenn wir keine Veranstaltungen machen können, haben viele von ihnen keine Arbeit. Wir haben Glück. In den letzten Jahren konnten wir Rücklagen bilden. Und wir leben auch einfache Leben. Haben kaum besondere Ausgaben. Aber das geht ja nicht allen so. Toll war, dass unsere Kooperationspartner uns ohne Kosten aus den Verträgen herausließen. Darüber sind wir sehr dankbar. Uns ist wichtig geworden, alle Menschen, die an unseren Veranstaltungen dranhängen, mitzudenken.“
Niklas erzählt von seinem Erleben, wenn er donnerstags den Social Dance im Studio 30 betritt. Auch er blühe auf, wenn er durch die Türe komme. Für ihn ist es jedoch nicht vordergründig die Musik, die den Unterschied mache. „Es ist die Stimmung. Hier fühle ich mich einfach akzeptiert. Hier darf ich sein, wer ich bin. Wenn ich den Lindy Hop in drei Worten zusammenfasse, sind es die Worte: Wahrheit. Liebe. Lebensfreude.“
Niklas tanzt schon seit seiner Jugend. Inzwischen reist er viel um die Welt. „Ich gehe auch immer noch zu Workshops. Manchmal auch zu den Beginners. Überall kann man was lernen. Es kommt auf meine Haltung an. Das Ego einfach mal klein halten.“
Bei einer seiner Reisen fuhr er mit der Bahn durch Dublin. „Ich war auf dem Weg zu einer Tanzveranstaltung. Bei der ersten Station sah ich aus dem Fenster an der Wand das Wort: Truth. Bei der zweiten Station sah ich das Wort Love. Bei der dritten erschien: Happiness.“ Er lacht. „Das hielt ich für ein Zeichen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“
„Für viele Menschen, die Donnerstags zum Social Dance kommen, sind wir inzwischen so etwas wie eine Familie. Viele kennen sich gut, kommen seit sechs Jahren wöchentlich zusammen. Der Alltag kann hier einfach mal weggetanzt werden. Körperlich. Das ewige Im-Kopf-Sein findet eine Pause. Am nächsten Tag“, sagt Niklas, „fühle ich mich immer erfrischt.“
„Wo in Harlem ist eigentlich noch die Swing-Kultur zu finden?“ fragte Niklas bei einem Aufenthalt in New York seinen Gastgeber. Dieser hob die Hand und klopfte sich in Herzhöhe auf die Brust und sagte: „Da drin ist sie. Da lebt in jedem von uns die Kultur des Swing.“
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Infos und Programme über Lindy Hop Saarbrücken auf www.nikandjovanna.com
Die Fotografin Lilli Breininger studierte Fotojournalismus in Hannover. Sie erzählt gerne Geschichten mit ihren Fotos, zurzeit die von KünstlerInnen "in Corona". www.lillibreininger.de