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  • 11. Dez. 2020
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 12. Jan. 2021

Die Geschwister Ben, Niklas und Jovanna sind professionelle Lindy Hop TänzerInnen und führen eine Swing Tanzschule. Was mich an ihrer Arbeit besonders interessiert, ist ihre Grundhaltung. Denn sie sind mehr als Tanzlehrer. Sie sind Botschafter einer herzlichen Kultur. Mit ihren Veranstaltungen und dieser besonderen Kultur sind sie international zu einem beliebten Hotspot für die Lindy Hop Szene geworden. Fotos: Lilli Breininger, Text: Axel Stirn



Die Geschwister erinnern sich. Schon der erste Lockdown ließ keine Zweifel offen: Es musste weitergehen. „Es gibt immer Wege“, sagt Niklas. Kraft und Motivation strahlen die beiden sichtlich aus. Sie entwickelten Online-Kurse, nahmen Videos auf und sendeten hoffnungsvolle Botschaften an ihre Abonnenten. „Bei all den schlimmen Bildern und Botschaften aus den Medien mussten wir einfach Hoffnung verbreiten. Dem 'Alles bricht zusammen!' setzten wir ein lautes 'Nein!' entgegen. „Dafür bekamen wir auch dankbare Rückmeldungen.“


Mit ihren Kursen fanden sie deutschlandweit Beachtung. 180 Kurs-Buchungen fanden in den ersten Wochen statt. Mit Teilnehmenden bis nach Hamburg. Über den Sommer wurde es dann weniger. „Wir haben die Menschen auch aufgefordert, nicht zu viel Zeit vor dem Bildschirm zu verbringen. Geht raus, genießt die Sonne und die frische Luft. Trefft euch, so wie es geht, mit Menschen. Das tut gut. Das war unsere Botschaft.“


Das Hauptgeschäft ihrer Lindy Hop Firma sind zwar die Tanzkurse. „Aber das Herzstück ist der Social Dance.“ Zum Social Dance kommen wöchentlich um die einhundert Menschen und tanzen, sprechen, lassen einfach mal los. „Wenn ich donnerstags hier durch die Türe gehe, bin ich wieder da.“ Ben beschreibt es, als werde ein innerlicher Schalter umgelegt. Woher diese Magie komme, frage ich. Bens Antwort sind ein paar fröhliche Lindy Hop-Tanzbewegungen. „Es ist die Musik“, sagt er. Die aktiviere ihn sofort. Sie fliese in seinen Körper und alle Sorgen des Alltags verflögen.



Als ich vor einigen Wochen eine kleine Recherchereise durch Nord- und Südamerikas Musik- und Tanzgeschichte machte, fiel mir auf, wie essentiell die afrikanischen Einflüsse sind. Schlimm, durchfährt es mich, dass Bewegungen wie "Black Lives Matter" immer noch nötig sind. Seit vielen Jahren tanzen die unterschiedlichsten Menschen zu Musik mit eindeutig afrikanischen Wurzeln.

Die Rhythmen der afrikanischen Kulturen haben ihre Wege in unzählige Herzen auf der ganzen Welt gefunden. „Grundlage des Swing“, sagt Ben, „ist ein einfacher 4/4-Takt. Aber ...“, und wieder tanzt er mit einigen Schritten durch den Raum und hoppt noch ein paar Synkopen. Dann zitiert er Coco Schumann „... wer den Swing in sich trägt, kann nicht mehr im Gleichschritt marschieren.“



Seinen Ursprung hat der Tanzstil in den unterdrückten, ausgebeuteten afro-amerikanischen Szenen der 1930er Jahren in den USA. „Auf den frühen Swing-Tanzveranstaltungen tanzten auch zum ersten Mal Weiße mit Schwarzen zusammen.“ Das war ein großes Zeichen für den Geist der Swing-Kultur. Es erscheint mir, erkläre ich, als sei der Lindy Hop von seinem Wesen her emanzipatorisch. „Er will befreien, mit starren, lebensfeindlichen Regeln brechen und stattdessen Freiheit, individuellen Ausdruck und die Gemeinschaft fördern.“ Die Brüder widersprechen nicht.



Später entwickelten sich aus dem ersten Swing der Jive, der Boogie-Woogie und der akrobatischere Rock ’n’ Roll. „Sogenannte weiße Aneignung fand natürlich auch statt“, erklärt Ben. „Darum legen wir besonderen Wert darauf, die Kultur und den Ursprung bewusst zu machen. Hier an der Wand hängen Porträts von großen Musikern und Informationen über die Geschichte. Wir erzählen auch immer wieder Anekdoten, die wir gut finden. Es gab in den 80er Jahren wichtige Prediger der Lindy Hop Kultur. Tänzern wie Frankie Manning war wichtig, dass es eine Kultur der gegenseitigen Akzeptanz gibt, die im Swing lebt. In dieser Tradition stehen wir.“



Heute zum Interview tragen sie seit Wochen zum ersten Mal wieder ihre Tanzkleidung. Solange war die Pause dieses Jahr noch nie. Aber die ist jetzt auch nötig. „Wir waren durchweg kreativ. Es gab keine Routine. Wir sind ganz schön ...“ Es scheint, als vermeide er das Wort ausgebrannt. Ich versteh gut, was sie meinen, waren sie doch trotz aller Schwierigkeiten im Sommer 2020 sehr aktive Kulturschaffende in Saarbrücken mit tollen Veranstaltungen.

„Im Regionalverband haben wir wirklich einen großartigen Kooperationspartner. Im Sommer gab es zum Beispiel einen hygienekonformen Outdoor Summer Dance hinter dem Schloss. Wir tanzten bis der Rasen nicht mehr mitmachte. Die aufgestellten Flutlichter und der aufgewirbelte Staub schufen eine stimmungsvolle Atmosphäre.“



Das jährliche Velo - Swing Festival zogen sie auch als Special Mini Edition durch. Mit angepasstem Hygienekonzept versteht sich. 80 Menschen, in Hygienegemeinschaften aufgeteilt, erlebten ein fast schon verrückt persönliches Festival. Jeder Programmpunkt wurde für jede Gruppe extra veranstaltet.

Von Juli bis Oktober gab es auch Charleston Führungen im Historischen Museum. Geschulte TänzerInnen führten im Anschluss an den Rundgang mit Spaß an der Bewegung Menschen allen Alters in den durch Josephine Baker berühmt gewordenen Charlestontanz ein. „Einfach mal über andere Formate nachdenken. Tanzen verbindet die Menschen mit ihren Körpern.“



Erschreckt hat die beiden ein wesentlicher Gedanke. „Wenn wir Veranstaltungen machen, haben auch andere Menschen Arbeit - bis zur Putzkraft. Wenn wir keine Veranstaltungen machen können, haben viele von ihnen keine Arbeit. Wir haben Glück. In den letzten Jahren konnten wir Rücklagen bilden. Und wir leben auch einfache Leben. Haben kaum besondere Ausgaben. Aber das geht ja nicht allen so. Toll war, dass unsere Kooperationspartner uns ohne Kosten aus den Verträgen herausließen. Darüber sind wir sehr dankbar. Uns ist wichtig geworden, alle Menschen, die an unseren Veranstaltungen dranhängen, mitzudenken.“


Niklas erzählt von seinem Erleben, wenn er donnerstags den Social Dance im Studio 30 betritt. Auch er blühe auf, wenn er durch die Türe komme. Für ihn ist es jedoch nicht vordergründig die Musik, die den Unterschied mache. „Es ist die Stimmung. Hier fühle ich mich einfach akzeptiert. Hier darf ich sein, wer ich bin. Wenn ich den Lindy Hop in drei Worten zusammenfasse, sind es die Worte: Wahrheit. Liebe. Lebensfreude.“



Niklas tanzt schon seit seiner Jugend. Inzwischen reist er viel um die Welt. „Ich gehe auch immer noch zu Workshops. Manchmal auch zu den Beginners. Überall kann man was lernen. Es kommt auf meine Haltung an. Das Ego einfach mal klein halten.“



Bei einer seiner Reisen fuhr er mit der Bahn durch Dublin. „Ich war auf dem Weg zu einer Tanzveranstaltung. Bei der ersten Station sah ich aus dem Fenster an der Wand das Wort: Truth. Bei der zweiten Station sah ich das Wort Love. Bei der dritten erschien: Happiness.“ Er lacht. „Das hielt ich für ein Zeichen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“


„Für viele Menschen, die Donnerstags zum Social Dance kommen, sind wir inzwischen so etwas wie eine Familie. Viele kennen sich gut, kommen seit sechs Jahren wöchentlich zusammen. Der Alltag kann hier einfach mal weggetanzt werden. Körperlich. Das ewige Im-Kopf-Sein findet eine Pause. Am nächsten Tag“, sagt Niklas, „fühle ich mich immer erfrischt.“



„Wo in Harlem ist eigentlich noch die Swing-Kultur zu finden?“ fragte Niklas bei einem Aufenthalt in New York seinen Gastgeber. Dieser hob die Hand und klopfte sich in Herzhöhe auf die Brust und sagte: „Da drin ist sie. Da lebt in jedem von uns die Kultur des Swing.“


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Infos und Programme über Lindy Hop Saarbrücken auf www.nikandjovanna.com


Die Fotografin Lilli Breininger studierte Fotojournalismus in Hannover. Sie erzählt gerne Geschichten mit ihren Fotos, zurzeit die von KünstlerInnen "in Corona". www.lillibreininger.de

  • 2. Dez. 2020
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 17. Dez. 2020

Volker Schütz macht Bilder zu Ton und Ton zu Bilder und meint: "Irgendwann sind auch diese beiden alten Toaster für etwas gut." Fotos: Lilli Breininger, Text: Axel Stirn


Lilli und ich betreten eine unrenovierte Altbau-Wohnung. Im dämmrigen Licht gehen wir durch einen engen Gang mit gefüllten Regalen. Am Ende des Gangs kommen wir in ein unmöbliertes Zimmer, dessen Boden komplett voll liegt. "Ich habe extra nicht aufgeräumt für euch. Ein Künstler in Mitten seiner Werke ist doch viel spannender."



Volker Schütz trägt einen Anzug aus dem letzten Jahrhundert und lächelt schelmisch. Schon in der Jugend, erzählt er, war er ein Computer Nerd. Aber auch schon immer der Kunst zugewandt. Studiert hat er Informationswissenschaft, Kunstgeschichte und Linguistik. Im Jahr 1999 machte er Fotos mit einer Lomokamera und begegnete in der zu dieser Zeit berühmten Saarbrücker Galerie Wasserundbrotmaschine dem damaligen Kurator. Dieser saß schweigend auf seiner Couch und schielte leicht abwesend ins Zwischenräumliche. "Kann ich", stotterte Volker herum, "hier mal meine, ... wenn es möglich wäre, ... Ausstellung...?!" Der Kurator hob seinen Blick und fragte: "Welches Sternzeichen bist du?" Volker, viel zu nervös um zögerlich zu sein, antwortete unverblümt: "Löwe." "Gut." flog die Antwort aus des Kurators Mund. "Kannste machen." So kam es zu seiner ersten Ausstellung. Seither sei er Künstler.



Ideen hätte er zwar schon immer welche gehabt, aber keine davon umgesetzt. Mit dieser Ausstellung kam der Stein ins Rollen. "Es braucht ja immer einen Grund, um zu handeln." Allerdings, bemerkt er, könne er nicht auf Knopfdruck zu einem von einer Förderstelle ausgeschriebenen Thema arbeiten. Da falle ihm nur ödes Zeug ein.


"Ich liebe es, Quatsch zu machen." So fange er meistens an. "Mit etwas Abstand", erklärt er, "finde ich dann meistens etwas mit Raffinesse. Überall gibt es versteckte Schätze, die es lohnt zu kultivieren. Gerade bei Geräten. Oft können die historischen Geräte zwar nicht das, was die heutigen können, aber meistens sind sie dafür an einem anderen Punkt viel besser." Dafür interessiere er sich.



Er zeigt auf zwei sichtlich benutzte alte Geräte, die auf einem vollen Karton in seiner Küche stehen. "Irgendwann sind auch diese beiden Toaster für etwas gut." Übrigens, dass es eine Küche ist, erkenne ich an der Sprühsahne auf dem Küchenschrank. Der Rest macht eher den Anschein eines Lagerraums für RetroKunstwerke, die einladen, die berühmte Frage zu stellen.



In seinem Arbeitsraum will Volker uns zuerst sein Oszilloskop vorführen. Dieses Gerät macht, banal gesagt, aus einem Signal Bild und Ton. Nicht wie beim Fernseher. Dort bekommen Ton und Bild jeweils ein eigenes Signal über die Antenne. Hier ist es ein einziges Signal. Volker wählt ein Bild und nutzt einen Algorithmus um sein Signal zu erzeugen. Das Ergebnis, das der Apparat liefert, ist der Sound des Bildes. Oder umgekehrt. Er gibt Töne hinein und bekommt dann auf dem kleinen grünlichen Bildschirm das dazugehörige grafische Bild. "Mit dem Gerät kann man Sachen sehen, die sonst unsichtbar sind."


Er stellt das Gerät an. Direkt erscheinen auf dem Bildschirm sinusartige Kurven mit Ecken und Zacken. "Wäre das Stromnetz stabil und alle Stecker und Adapter in Ordnung müsste man hier das Bild des Saarbrücker Stromnetzes sehen: Eine schöne Sinuskurve." Ich stutze, denn der Sensor des Geräts liegt einfach nur mitten im Raum. "Ja", erklärt Volker. "So misst es einfach das elektromagnetische Feld, das hier in diesem Raum ist." Ich muss an Elektrosmog denken und stehe plötzlich unter Strom. Kein Wunder, denke ich, dass der Schlaf im Wald so erholsam ist.



Für sein nächstes Projekt wurde Volker ein Budget der saarländischen Filmförderung bewilligt. Er will einen kleinen Film mit Narrativ machen. Mit dem Oszilloskop versteht sich. Damit sei er weltweit der einzige. Alle anderen Oszilloskop-Künstler, von denen er wisse, machten nur kleine Animationen.


Sein Film wird von Außerirdischen handeln, die die Erde besuchen. Leider geht bei der Landung etwas schief, so dass sie in einer Pfütze landen. Dort begegnen sie Kaulquappen, die sie für die Bewohner der Erde halten. Sie versuchen mit diesen in eine sinnvolle Kommunikation zu treten, was leider nicht funktioniert. Dann verlassen sie die Erde wieder. Ende.



Ja, mit der Förderung, da habe er Glück gehabt. Sonst lebe er von Projektförderungen, dem Verkauf seiner Bilder und gelegentlichem Honorar. In dieser Hinsicht war 2020 ziemlich mies. Über den Lockdown light bis ins nächste Frühjahr trägt ihn nun diese Filmförderung.


Was würde denn der Welt fehlen, wenn er keine Kunst mehr machen könnte? Er erzählt von einem Institut für Materialwissenschaft, das ihn eingeladen hatte. "Die hatten ein Gerät, mit dem konnten sie die Oberfläche von Material wie mit einem Plattenspieler mechanisch abtasten und daraus ein Bild erzeugen. Bei einigen Bilddarstellungen der Messungen erschien jedoch ein riesiger Berg anstatt kleiner Höhen und Tiefen. Sie hatten dafür zunächst keine Erklärung."


Volker zeigte den Wissenschaftlern seine Körperteilverlängerungsmaschine und erklärte, wie er mit dieser arbeite. Und in der Tat. Das Phänomen war vergleichbar. Anstatt das Atom einfach zu messen, hatte die Maschine das Atom vor sich hergeschoben und so ein monströses Bild erzeugt. Eine gute Analogie in den visuell schönen Fehlern, die den beiden Techniken innewohnen.



Im Reich der tausend Dinge auf dem Boden seines aktuellen Arbeitszimmers steht sie tatsächlich auch: Die Körperteilverlängerungsmaschine. "Im Grunde ist sie eine der ersten Digitalkameras." Aber weil sie zu wenig Speicherplatz hat, eine ganzes Bild auf einmal zu erfassen, taste sie wie ein Scanner den Bildausschnitt mit einer Vertikalen von rechts nach links ab - und druckt das soeben Gescannte direkt auf Thermopapier. "Wenn man nun mit dem Messfeld mitgeht, entstehen eben sehr lange Körperteile."



Für ein anderes Projekt holte er sich aus dem Netz den Algorithmus für ein neuronales Netzwerk, brachte seine Grafikkarte dazu, damit zu arbeiten, und füttert den lernfähigen Rechenapparat nun mit Aktfotografien. Ziel ist es, das Gerät dazu zu befähigen, ein Bild zu erstellen. Ein Vorläufer eines derartigen Versuchs steht bei ihm in der Küche unter der Decke. Es wirkt wie eine Mischung aus Comic-Irrtum und ScienceFiction-Parodie.


"Meine Kunst lässt die Menschen ihre Wahrnehmung hinterfragen. Und ihre Interpretation von Geschehnissen in neuem Licht sehen. Es gibt gerade in der Wissenschaft immer mehrere Objektivitäten. Je nach Messgerät. Es ist wie bei einem Foto von einem tanzenden Tänzer. Das Foto zeigt nicht den Tanz. Aber das denken wir oft nicht mit. Es geht also um die Decodierung der Bilder in Bewegung."



Auf dem Weg nach draußen müssen wir wieder durch den trüb beleuchteten Gang. An einem der Regale bleiben wir noch stehen. "Schaut", Volker zeigt auf drei Geräte, die aussehen wie Koffertaschenlampen. "Das sind japanische Fernseher von Anfang der 1980er Jahre. Die Entwickler hatten die müden Zuschauer im Blick, die schräg oder seitlich auf dem Sofa liegen." Er dreht an der Bildschirmröhre. "Man kann die Röhre beliebig drehen und so der eigenen Kopfneigung anpassen! Heute ist das genial: Ein Röhrenbildschirm, der die Hochkant-Fotos von Handyaufnahmen formatfüllend anzeigen kann. Die Geräte haben übrigens einen Kosenamen und heißen Schlummerli."



Auf der Straße lächeln Lilli und ich uns an. Toll, einigen wir uns. Gut, dass es die Möglichkeit gibt, für so einen sanften Menschen wie Volker weitgehend sorgenfrei zu leben. Seine wundersamen Kunstaktionen beleben unseren oft unkritischen Blick für die digitale und algorithmische Welt auf spielerische Art und Weise. Danke.


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Volker Schütz, geboren 1968 in Neunkirchen, Saar, ist ein deutscher Experimentalfilmer und Fotokünstler. https://volkerschuetz.de/

Die Fotografin Lilli Breininger studierte Fotojournalismus in Hannover. Sie erzählt gerne Geschichten mit ihren Fotos, zurzeit die von KünstlerInnen "in Corona". www.lillibreininger.de

Aktualisiert: 17. Dez. 2020

Ein Interview mit Pia Groh, Schmuckgestalterin in Saarbrücken. Fotos: Lilli Breininger, Text: Axel Stirn.


Der erste Lockdown traf Pia Groh an empfindlichster Stelle. Die Schmuckgestalterin stellt edle Ketten aus feinen Achatringen her. Sie erscheinen mit flüchtigem Blick aus Plastik gefertigt. Sobald man sie jedoch in die Hand nehmen darf, setzt das Staunen ein. Der raue Stein reibt aneinander und klingt, als würden sich Steine zart liebkosen und streicheln. Die Kette wiegt überraschend schwer und ist in ihrer geometrischen Struktur doch erstaunlich leicht. Sie ist recht kühl, aber wenn man sie trage, sagt Pia, nehme sie die Körperwärme auf und speichere sie.



Mir wird sofort klar, warum der Verkauf dieser Kostbarkeiten über Bilder im Internet nicht gut funktioniert. Die Kunstwerke sprechen alle Sinne an. Den Hauptumsatz macht Pia auf Messen und Märkten. Die für ihre Branche wichtigste Messe in München, auf der sie einen Großteil ihres Jahresumsatzes erwirtschaftet, findet gewöhnlich im März statt. Sie wurde 2020 wegen Corona abgesagt. Pia fiel in ein bodenloses Loch.



„Ich bin wochenlang nicht mehr in mein Atelier.“ Jegliche Motivation war weg. Es gab keinen Grund mehr zu arbeiten. „Systemrelevant ist meine Arbeit ja nun wirklich nicht.“ Pia senkt den Blick und erinnert sich an die Zeit des Lockdowns. Sie verließ kaum die Wohnung. „Das Gute war, mein Freund hat einen "systemrelevanten" 9 to 5 Job. Ich hatte ein paar Rücklagen. Wir konnten die Miete bezahlen und hatten zu essen. Für anderes konnten wir ja eh kein Geld ausgeben. Aber ich wusste wirklich nicht, was ich mit meiner Arbeit noch anfangen sollte.“



Ich frage sie, wie sie denn dazu gekommen war, mit dieser Arbeit überhaupt zu beginnen. „Nach zwei Jahren Studium der Linguistik, die mich nicht erfüllt hatten, habe ich gemerkt, dass ich lieber mit meinen Händen arbeite und kreativ werden wollte.“ Sie blickt auf und ihre Augen beginnen zu funkeln. Es war ihr Wunsch, ihrer Schaffenskraft Ausdruck zu verleihen. Aufgewachsen in Wien ging sie zur Ausbildung nach Idar Oberstein. „Meine Ausbildung war großartig. Ich liebe meine Arbeit. Es ist oft wie eine Art Meditation.“


„Machst du die Arbeit nur für dich?“ frage ich sie. „Nein“, kann sie direkt antworten. „Als der Lockdown verhinderte, dass ich meine Sachen ausstellen konnte, wurde mir klar, wie wichtig mir der Kontakt zur Welt ist. Meine Kunstwerke sind für Menschen gemacht. Sie wollen jemanden finden, der sie schön findet, der sie liebt und wertschätzt. Der Schaffensprozess ist das eine. Aber die Rückmeldung, die Anerkennung der Arbeit ist genauso wichtig. Ohne diese hätte meine Arbeit keinen Sinn.“



„Allein davon leben geht noch nicht.“ Sie meint damit die Zeit vor Corona. „Ich hatte schon immer einen Nebenjob in der Gastronomie.“ Der sei für die Abwechslung und sorge für ein solides Grundeinkommen. Aber auch damit war wegen Corona erstmal Schluss.



Inzwischen arbeite sie wieder in der Gastronomie. Das sei schon mal gut. „Im August hatten wir eine großartige Ausstellung in Regensburg. Eine Galerie stellte meine Arbeiten aus, zusammen mit den Arbeiten von fünf KollegInnen. Die Rückmeldungen waren super.“ Das gab ihr wieder Schwung, ihre Arbeit fortzusetzen. Aber es ist nicht mehr so wie früher. Etwas hat sich verändert.



„Ich denke darüber nach, mir ein zweites Standbein zu schaffen. Gastro kann ich nicht ewig machen. Auch das zweite Standbein sollte eine sinnvolle Arbeit sein. Umweltbildung würde ich gerne machen. Mal schauen wohin das führt.“



„Warum fokussiert du dich nicht auf den Ausbau deines Handwerks?“ Sie wirkt entschieden: „Ich muss raus aus dem wirtschaftlichen Druck, verkaufen zu müssen, um zu überleben. Das blockiert meine künstlerische Arbeit sehr. Was mache ich, wenn nochmal ein Lockdown kommt? Was mache ich, wenn keine Messen mehr stattfinden dürfen? Was mache ich, wenn ich mal nicht genug verkaufe? Es soll mir nicht nochmal den Boden unter den Füßen wegziehen.“



„Wenn ich arbeite, will ich ohne Sorgen und frei arbeiten können. Ohne Angst. Dann werden die Dinge schön.“



Vielen Dank für das Gespräch und die Gelegenheit, dich und deine Arbeit zu fotografieren.


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Pia Groh, aufgewachsen in Wien, studierte in Idar Oberstein und arbeitet seit 2017 in eigener Werkstatt in Saarbrücken. www.piagroh.com


Die Fotografin Lilli Breininger studierte Fotojournalismus in Hannover. Sie erzählt gerne Geschichten mit ihren Fotos, zurzeit die von KünstlerInnen "in Corona". www.lillibreininger.de

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