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  • 13. Mai 2020
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 2. Juni 2020

Was hat es mit der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft auf sich? Was unterscheidet psychologische Arbeit von esoterischer? Ein Gespräch zwischen Monika Schmidt-Kiesinger, Vemittlerin der regionalen Hochschulgruppe, und Axel Stirn vom 1. Dezember 2019 in den Räumen der Christengemeinschaft Saarbrücken. Der Artikel erschien im Keime-Heft 1/20, S. 14 und 15


Foto: Anthroposophische Gesellschaft


Monika Schmidt-Kiesinger (MSK), Vemittlerin der regionalen Hochschulgruppe in Saarbrücken und Axel Stirn (AS) von Keime für die Zukunft im Gespräch:


MSK: Seit etwa drei Jahrzehnten bin ich Mitglied der Hochschule. Vor etwa drei Jahren bin ich in die Aufgabe als Vermittlerin für unsere Region hinein gekommen. Dieser Aufgabe versuche ich verantwortungsvoll gerecht zu werden. Zum Anfang möchte ich ein einziges Zitat aus den anthroposophischen Leitsätzen vorlesen, weil ich es so genial finde:

„Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte. Dies tritt im Menschen als Herzens- und Gefühlsbedürfnis auf. Sie muss ihre Rechtfertigung dadurch finden, dass sie diesem Bedürfnis Befriedigung gewähren kann. Anerkennen kann Anthroposophie nur derjenige, der in ihr findet, was er aus dem Gemüte heraus suchen muss. Anthroposophen können nur Menschen sein, die gewisse Fragen über das Wesen des Menschen und die Welt so als Lebensnotwendigkeit empfinden, wie man Hunger und Durst empfindet.“

Wenn ich zurück blicke, ist es genau das gewesen. Es hat immer im Hintergrund mitge-schwungen. Meine Tochter wurde in Saarbrücken eingeschult. Im ersten Schuljahr merkte ich, dass sie sich nicht wohl fühlte. Das war nicht gut. Da passierte etwas mit mir. Ich erfuhr von der Saarbrücker Waldorfschulgründung und wir sprachen mit der Gründerin Frau Lippke. Ich war damals noch nicht in der Anthroposophischen Gesellschaft. Aber als mein Kind in der Schule war, wollte ich mehr wissen.


AS: Zu der Zeit fingen Sie an, sich mit anthroposophischen Inhalten zu beschäftigen. Sie fragten zum Beispiel: Wer war Steiner?


MSK: So ungefähr. Durch Begegnungen fand immer wieder eine Vertiefung statt. Es reifte mein Entschluss, der zur heutigen Situation führte.


AS: Erinnern Sie sich daran, wann zum ersten Male die Frage nach dem esoterischen Hintergrund kam?


MSK: Es kam zu immer mehr Begegnungen mit vielfältigen Menschen, mit ihren Initiativen, mit Praktischem, Kursen, Feiern, Vorträgen. Um mehr zu lernen, habe ich angefangen, die „Philosophie der Freiheit“ zu lesen. Auf einem Elternabend bei Herrn Dr. Bohnstedt, dem Klassenlehrer meiner Tochter, lasen wir einen Steinertext über Ernährung. Es war die Art des Umgangs mit Ideen, die aus diesem Text heraus leuchteten. Er brachte mich der Sache näher, aber immer mit der Option, jederzeit aussteigen zu können. Doch ich fühlte: „Da ist etwas, wonach du innerlich suchst. Bleib da dran!“


AS: Ich hatte auch Erlebnisse mit eindrücklichen Menschen und ich fragte mich, wo hat der oder die diese Gedanken und Begriffe her, was sieht dieser Mensch? Wie kommt es zum Beispiel, dass der in einer stressigen Kindersituation so gelassen ist? Wo hat er diese Fähigkeit her? Welche Ausbildung hat er? Wie war das bei Ihnen?


MSK: Einer der Menschen war Dr. Bohnstedt. Er war jemand, der ganz ernsthaft und voller Verantwortung auch auf der Suche war. Man könnte auch sagen, er war ein Zweifler. Aber er ließ nicht los und suchte authentisch zu ergreifen, was er als richtig fühlte. Und er war ja auch ein sehr naturverbundener Mensch. Eine weitere war Frau Fuchs, die Klassenlehrerin unserer zweiten Tochter. Durch sie entstand die Verbindung mit Wolf-Ulrich Klüncker, damals noch am Friedrich-von-Hardenberg-Institut in Heidelberg. Hier kam der Aspekt hinzu: Was bedeutet Wissenschaft im Zusammenhang mit Geisteswissenschaft? Dadurch weitete sich der Blick von der Waldorfpädagogik auf die Frage: Wie steht der Mensch als Einzelner heute im Weltzusammenhang?


AS: Wann wollten sie der Hochschule beitreten, einen Rahmen suchen, wo die Erkenntnisarbeit kultiviert wird? Wie fanden Sie zu dieser Entscheidung?


MSK: Das Wichtigste war, ein Verhältnis zu mir und zur heutigen Welt auszubilden. In der Zeit, in der viele Menschen von Angst und Zweifeln geplagt werden, konnte mir Anthroposophie Kraft und Zuversicht geben. Aber es war kein „Stein der Weisen“. Ich musste es mir immer von neuem erarbeiten.

AS: Was ist denn der Unterschied der esoterischen Arbeit zur Psychologie?


MSK: Es gibt Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede. Ein wesentlicher Unterschied scheint mir zu sein, dass die anthroposophische Esoterik ein Weg ist, der nie ohne das Ich gemacht werden kann. Die Verwandlung des Selbst steht im Mittelpunkt. Ohne dass das Ich tätig wird, entwickelt sich nichts.


AS: Wie macht man das dann? Wie geht dann so eine Entwicklung? Wenn ich sage, ich mache jetzt bei in der Hochschule mit. Was muss ich dann tun?


MSK: Zunächst müssten Sie sich entscheiden, das zu wollen. Dann begeben Sie sich auf einen Schulungsweg, auf dem sie intensiv Erkenntnis suchen, Objektivität, und eine Begrifflichkeit, die sie sich individuell erwerben müssen, außerhalb oder innerhalb der Schule. Sie müssen auch Ihr Seelisches umgestalten, so dass Sie Gewordenes überwinden, ändern können. Der alte Begriff „Läuterung“ besagt, dass Sie ihr Denken, Fühlen und Wollen verobjektivieren. Die Ebene von Sympathie und Antipathie müssen Sie übersteigen. Es ist Stärkung des Seelenlebens und Loskommen vom Alltäglichen, dazu geduldig offen werden für etwas, was vom Geiste zukommt. Die geistige Welt ist in der Anthroposophie wirklich und wesenhaft und wir sind mit geistigen Wesen immer verbunden. Von ihnen stammt das wahre Ich des Menschen. Der Schulungsweg soll diese Verbindung verdeutlichen und verstärken.


AS: Das habe ich verstanden. Ich muss zuerst den eigenen Hunger, also die Frage als berechtigt erkennen. Aber warum sollte ich das tun? Warum sollte ich den Hunger stillen? Es gibt heute viele Arten von Hunger, die man besser nicht stillen sollte.


MSK: Zuerst eine Gegenfrage: Wie kamen Sie eigentlich zu diesen Kontakten, zur Anthroposophischen Gesellschaft, zur Christengemeinschaft?


AS: Mein Weg fing mit der Doku Zeit für Veränderung des amerikanischen Journalisten David Pichbeck an, die ich 2012 im Internet sah. Es ging um die Frage: „Was ist an unserer heutigen Weltentwicklung falsch. Er lässt dann zahlreiche „Weisheitsmenschen“ zu Wort kommen. Die sprachen vom Bewusstseinswandel. Dem bin ich nachgegangen und fand, dass es unzählige Quellen gibt, die von Bewusstseinswandel sprechen.


Ich war bei Freimaurern, Rosenkreuzern, Anthroposophen. Ich kannte damals die Unterschiede nicht. Weil ich neugierig war, habe ich alle besucht. Überall traf ich alte Männer, die abstrakt von Geheimnisvollem an verborgenen Orten besprachen. Das wollte ich ändern. Ich begann zu lesen: Bücher, Internet, besonders Anthrowiki, jahrelang. Doch um so mehr ich herausfand, desto weniger wurden die Menschen, mit denen ich darüber sprechen konnte. Dann sah ich einen Ausschrieb: „Braucht innere Entwicklung Gemeinschaft“?


Ich fand eine Gruppe junger Menschen, die zusammen „Die Philosophie der Freiheit“ lasen. Hier sprach ich zum ersten Mal über die Dinge, die ich in den Jahren gelesen, gedacht und gefunden hatte. Ich kam der Sache näher, wurde mir gleichzeitig auch klar, wenn ich das zu extrem mache, dann lande ich im härtesten Klüngel, den man sich vorstellen kann.


Ich dachte, ich bin froh, dass ich auf diesem Weg dazu gekommen bin und nicht über ein anthroposophisches Elternhaus, eine Waldorfschule oder einen Arbeitsplatz. Wenn man sich jahrelang ausschließlich mit sich und den gleichen Gedanken befasst, besteht die Gefahr der „Versteinerung“, die sich auch seltsam anfühlt. Ich wollte es anders machen.


Die Fortsetzung des Gesprächs in Bleib da dran! - Teil 2.

Aktualisiert: 16. Juni 2020

28 Jahre Waldorfkindergarten St. Wendel von Redaktion. Der Artikel erschien im Keime-Heft 1/19 auf S. 14 und 15

Foto: Waldorfkindergarten St. Wendel


Liebe Frau Schifftner - mit dem Neustart des Kulturkalenders „Keime für die Zukunftstellen wir uns die Aufgabe, die regionalen Initiativen wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen und sie miteinander zu vernetzen. Hiermit machen wir einen Anfang. Wie entschieden Sie sich für St. Wendel?

Entscheidend für mich war der Impuls, der in dieser Initiative lebte. Herr Schmidt und Herr Altmeyer meinten: Wir schlagen ein Zelt auf dem Rathausplatz auf und fangen einfach an. Das hat mich beeindruckt. Dieser Impuls, dieser Wille.


Wie entwickelten sich Ihre räumlichen Verhältnisse? Zunächst gab es die alte Villa Thelen. Die untere Etage wurde der Kindergarten. Der Raum ganz oben wurde der Eurythmieraum. Es war sehr schön, mit kleinem Garten. Bald wurde es zu eng mit 20 Kindern. Wir brauchten neuen Raum für die Krippe. Wir fanden ein wirklich großes Gelände in der ehemaligen französischen Kaserne. Und wir bauten neu. Das war nicht unproblematisch. Auch heute noch kämpfen wir mit Baumängeln. Aber wir schafften es mit großer Hilfe der Waldorfschulen in Saarbrücken, Bexbach und Walhausen, privater Freunde und Förderer des Kindergartens und bekamen ganz neue Möglichkeiten.


Empfinden Sie es als Glücksfall, einen großen Bau und ein großes Grundstück zu haben?

Ja, es war ein Glücksfall, eine derartige große Fläche zu bekommen. Es sind 3500 qm Gesamtfläche. Wir mussten überlegen, wie man in diesen weiten Räumen eine gute Hülle für die Kinder schaffen kann. Die Kinder kommen von zuhause aus kleinen Räumen und erleben nun diese weiten Räume. Das brauchte für uns Erzieher viel Kraft, die Kinder beisammen zu halten.


Sie haben eine eigene Küche? Wir kochen selbst, jede Gruppe für sich. Das ist eine heilsame, pädagogische Sache. Es geht uns darum, selbst gutes Essen zu kochen und dass die Kinder beim Prozess der Essensbereitung dabei sind. Das setzt einen hohen Anspruch. Früher haben wir Frühstück zubereitet, eine Zwischenmahlzeit und zum Mittagessen gingen sie dann nach Hause. Jetzt bereiten wir ein Frühstück, eine Teepause, ein Mittagessen und einen Nachmittagsimbiss.


Das heißt, wir kochen vollständig, mit allen Vor - und Nacharbeiten. Es ist sehenswert, wie gut die Kinder bei der Vorbereitung des Essens mitarbeiten. Bis hin zum Putzen des Salates und des Schälens der Kartoffeln und Möhren! Und das nebenher. Das bringt unsere Arbeit manchmal an pädagogische Grenzen. Da bleibt wenig Raum für anderes.


Die Kinder erleben aber die sich wöchentlich wiederholenden, nachvollziehbaren und sinnhaften Handlungsabläufe, die der Gemeinschaft dienen. Das ist gerade für Kinder in unserer heutigen Zeit wichtig. Sie brauchen eine Struktur, eine Form, eine wiederkehrende Tätigkeit, einen Rhythmus.


Die Kindergärten haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Man spricht jetzt von Tagesstätten. Ist Ihr Kindergarten auch eine Tagesstätte? Ja. Zum Frühstück kommen immer mehr, weil sie meistens weite Fahrtwege haben und oft nicht mehr zu Hause frühstücken. Die Eltern sind froh. Viele Kinder, die ankommen, müssen auch erst einmal „glattgestriegelt“ werden, damit sie essen können. Es läuft eben heute im Leben der Kinder vieles sehr hektisch ab. Da bleibt das rein pflegerische, angefangen bei der Ernährung, oft auf der Strecke. Wir sehen darin eine unserer Prioritäten. Es geht nicht darum, abstraktes Wissen zu vermitteln, sondern alltägliches Leben und Kulturtechniken zu vermitteln.

Es wird immer wieder gesagt, die Waldorfkindergärten können sich die Kinder aussuchen. Welche Kinder nehmen Sie auf? Ich will alle aufnehmen. Voraussetzung ist lediglich, dass die Eltern das tolerieren, was wir machen. Ich frage z.B. nicht, ob sie zu Hause fernsehen. Persönlich habe ich eine Neigung zu den besonderen Kindern, den „verhaltensoriginellen“ Kindern.

Foto: Waldorfkindergarten St. Wendel


Einmal in der Woche werden in den Waldorfinitiativen Konferenzen gehalten. Gibt es das bei Ihnen auch?

Ja, regelmäßig. Dabei bemühen wir uns, hygienisch zu sein und uns nicht zu verzetteln. Uns ist wichtig, dass die Privatzeit der Mitarbeiterinnen nicht zu kurz kommt. Die Jüngeren schaffen das ganz gut. Wir arbeiten in Gruppen. Unser Wunsch ist, die wichtigsten Gespräche in denjenigen Gruppen durchzuführen, die zusammenarbeiten. Dann einmal im Monat eine Gesamtkonferenz mit allen Personen. Dort fragen wir uns dann: Was zeichnet die Waldorfpädagogik aus? Wo findet sie bei uns statt, wo nicht? Natürlich auch Organisatorisches und recht viel Öffentlichkeitsarbeit. Das Problem ist stets, das Wesentliche zusammenzutragen. Man muss die Fäden halten!


Wie arbeiten Sie Mitarbeiter*innen ein? Werden auch Vorträge von Rudolf Steiner gelesen?

Früher machten wir Lese- und Inhaltsarbeit. Auch im Vorstand. Aber das ist nicht mehr haltbar. Man kann das ja auch anders machen: Wir nehmen uns ein Themengebiet vor und schauen es an, z.B. den Rhythmus, der die Grundlage unserer Arbeit ist. Wir nehmen dann nicht gleich den Text, sondern fragen: Wie erlebt jeder das Gebiet? Wie kann er es umsetzen?

Es geht in allen Gruppen immer um den Blick auf das einzelne Kind. Was braucht das Kind? Wie muss der Rhythmus sein? Was und wie spielt ein Kind? Was kommt vom Himmel herab? In welcher Form bringe ich dieses oder jenes an das Kind heran? Und es wird ausgesprochen, welche geistige Haltung jeder dabei hat.


Auch mit den Eltern haben Sie eine Aufgabe? Die Eltern haben ein Leben neben dem Kindergarten. Viele fänden es gut, wenn wir sie einmal besuchten und ein Elterngespräch führen würden. Das ist nicht möglich. Eltern brauchen dennoch eine klare Linie dessen, was notwendig ist, wie z.B. die Kleidung. Und ansonsten viel Zuspruch. Wir bemühen uns, sie im Richtigen zu bestärken. Es hilft viel, dass ich überzeugen kann und dass ich älter als die meisten Eltern bin. Ich kann ihnen beruhigend sagen: „Es wird schon“.


Was ist Ihre besondere Rolle als Leiterin? Als Kindergartenleiterin bin ich die „Königin des Rhythmus“. Den gilt es zu halten und immer wieder zu finden. Der Rhythmus ist eine halbgeistige Kraft und mit ihm ist schon ein großer Teil der Arbeit getan. Anders überleben wir das gar nicht. Kinder und Eltern verlangen ihn von sich aus.


Wie überzeugen Sie die Eltern von Ihrer Pädagogik? Es heißt, alles Erste bleibe ewig im Kinde. Darauf bauen wir auf. Also: Erst einmal muss es den Eltern wohlig sein. Sie müssen es nett finden und dann müssen sie das Gefühl haben, dass das Kind eine Anbindung erfährt. Wir fragen die Eltern nicht aus, sondern wir sehen sie uns an, nehmen sie wahr. Wer kommt da? Haben sie den Weg zu uns über die Kinder gefunden? Waren die anderen Kindergärten besetzt oder kommen sie, weil sie wollen, dass es ihren Kindern gut geht? Zurzeit ist es so, dass fast alle Kinder anschließend in die Waldorfschule nach Walhausen gehen.


Vielen Dank für das Interview, Frau Schifftner. Wir wünschen Ihnen und dem ganzen Kindergarten alles Gute mit ihren jungen Keimen für die Zukunft.


Fotos: Waldorfkindergarten St. Wendel


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