Man sieht die Blumen welken und die Blätter fallen, aber man sieht auch Früchte reifen und neue Knospen keimen. Das Leben gehört den Lebendigen an, und wer lebt, muß auf Wechsel gefaßt sein.
Johann Wolfgang von Goethe
Ein Bericht von Axel Stirn
Als die Redaktion der "Keime für die Zukunft" bereits stark am Altern war und es sich abzeichnete, dass es neue Menschen brauchte, um das Heft in die Zukunft zu führen, kam ich als relativ junger Mensch dazu. Meine Absicht, die für mich der Anker meines Interesses an dem Heft war, bestand darin, der Veröffentlichung eine neue Gestaltung zu erarbeiten. Mit diesem Anliegen wurde ich herzlich empfangen und zum Gespräch mit dem Initiativkreis eingeladen. Bei diesem Treffen erschienen mir die wesentlichen Aspekte, womit die "Keime für die Zukunft" vor einigen Jahrzehnten entstanden waren. Es waren in groben Zügen drei wesentliche Ansätze.
Erstens war das Heft Öffentlichkeitsorgan der bestehenden anthroposophischen Initiativen. Was in den Gruppierungen und Institutionen der Region geschah, wurde beschrieben: Berichte über Aktivitäten, Personelles, Veranstaltungen und Termine wurden abgedruckt und standen der Öffentlichkeit zur Verfügung. Aber es ging nicht nur um die Öffentlichkeit.
Zweitens ging es auch, rangmäßig auf gleicher Ebene, darum, den Menschen, die in den Initiativen der Region tätig waren, ein Bild von und Kontakt zu den Aktivitäten der anderen Initiativen zu ermöglichen. Die viele Jahre lang durchgeführten "Keime-Treffen", wo Akteure und Interessenten zusammenkamen, um sich auszutauschen, waren neben dem gedruckten Heft die zweite Säule der Initivative "Keime für die Zukunft".
Die dritte Säule war die Veröffentlichung anthroposophischer Gedanken und Sichtweisen aus allen Bereichen des Lebens.
Das Gremium des Initiativkreises nahm mich freudig auf und begrüßte mein Engagement und meine Ideen. Es wurde beschlossen, dass sich an der Fortführung der "Keime" tatkräftig Mitgestaltende zusammenfinden sollten. Beim nächsten Treffen sollte ein Konzept vorgelegt werden, über das abgestimmt werden würde. Es fanden sich der Gründer und langjährige Herausgeber Christian Schwarz, Wolf-Dieter Musmann, Thorsten Hartmann und ich zusammen. Wir erarbeiteten ein Konzept, stellten es dem Initiativkreis vor und durften mit der Arbeit beginnen.
Einige Monate später erschien die erste Neuausgabe des alten Heftes. Die Rückmeldungen waren wenige, allerdings weitgehend positiv. Ein halbes Jahr später erschien die zweite Ausgabe. Wiederum waren die Rückmeldungen zumeist positiv, doch insgesamt weiterhin sehr spärlich. Auch hatte sich trotz eifriger Umfrage zu den als Redaktion auftretenden vier Männern niemand hinzugefunden, der am Heft mitarbeiten wollte.
Zwischenzeitlich konnte ich in den Raum der Waldorfschule Altenkessel schauen, wo die angelieferten Hefte bis zur Weiterverteilung an Eltern oder sonstige Interessierte gelagert wurden. Es hatte sich gezeigt, dass weder das erste, noch das zweite neue Heft verteilt worden waren. Das nährte weitere, ausführliche Gespräch über den Sinn und Zweck der bisherigen Ausrichtung des Heftes.
Nach der Veröffentlichung des zweiten Heftes fand glücklicherweise Antonia Witt, eine junge Frau aus Saarbrücken, zur Redaktion. Leider hatte bis dahin kein weiteres Keime-Treffen stattgefunden, was vor allem daran lag, dass uns dafür die organisatorische Kraft fehlte, waren doch die drei Herren neben mir bereits um die 80 Jahre alt. Wir fanden uns mit Antonia neu zusammen und besprachen mögliche Handlungsoptionen. Mit junger Tatkraft wurden die Zweifel an der ideellen Verwurzelung der "Keime für die Zukunft" noch deutlicher. Um das genauer zu verstehen, ist es wichtig, den Kern der Organisationsform der "Keime" zu betrachten.
Bisher war es so: Die Organisationen und Initiativen der Region brachten ihrer Größe und ihrem Willen entsprechend Geld zusammen, das die Redaktion in Absprache mit dem Initiativkreis selbstverantwortlich nutzen konnte. Für größere Änderungen und neue Projekte brauchte es dem entsprechend die Zustimmung derer, die die Initiative ideell und finanziell ermöglichten, war es doch eine Initiative einer Gemeinschaft. Die bestehenden Projekte mussten nicht mit dem Initiativkreis abgesprochen werden, weil die Redaktion das Mandat hatte, verantwortlich im Sinne des Auftrags zu handeln. Das Wesentliche ist jedoch, wo die Inhalte des Heftes herkamen. Dem Gründungsimpuls folgend schickten die Initiativen der Region ihre Termine, Berichte und Ankündigungen an die Redaktion, welche das Heft gestaltete und dessen Verteilung organisierte. Dieses gemeinsame Erarbeiten das Heftes hatte sich in den Jahren zuvor fließend ohne Beschluss stark verändert. Die Redaktion musste seit Jahren alle Inhalte inklusive der jährlichen Finanzen mühevoll einholen; mit jährlichen Schreiben und vielen Telefonanrufen. Eine gemeinsame Gestalterschaft war damit zu einer blassen Trägerschaft mit sehr bemühter Redaktion zerfallen.
Unsere Bedenken drehten sich hauptsächlich um den Konflikt der formulierten Gemeinsamkeit und der faktischen Getrenntheit der beiden „Gruppen“. Antonia und mir schien, es müsste die Redaktion ihre Kernaufgabe neu überdenken und ihre innerliche Abhängigkeit zur Finanzquelle, die einst eine inhaltliche Gemeinsamkeit als Realität hatte, lösen. Die Älteren sahen weiterhin die Verantwortung gegenüber des einst formulierten Auftrags und taten sich schwer, der neuen, seit langem durchscheinenden Wirklichkeit ins Auge zu blicken. Dennoch waren wir trotz dieser Auseinandersetzung, gewillt, gemeinsam weiterzuarbeiten – abwartend, welche neuen Möglichkeiten und welche Schwierigkeiten sich mit unserer Tätigkeit ergeben würden.
Dann kam Corona.
Auch uns erschütterte die Welle der Ereignisse und löste unterschiedlich starke Schocks aus. Als wir uns nach einiger Zeit wieder aufgerappelt hatten, beschlossen wir, aus der Schwierigkeit eine neue Möglichkeit zu machen. Ein drittes Heft sollte erscheinen. Wichtigster Anlass dafür war unser Anliegen, in Zeiten rasender Digitalisierung ein haptisches Heft an echten Orten im Leben zu platzieren, um zu zeigen, es gibt anthroposophisches Leben in der echten Welt, was in Krisenzeiten nicht nur Trost spenden kann, sondern auch Mut, die eigenen Tätigkeitskräfte zur Gestaltung zu nutzen. Außerdem kam dem Gedanken der Vernetzung in Zeiten der Vereinzelung ein großes Gewicht zu.
Im Mai 2021 veröffentlichten wir das dritte Heft. Wir waren froh und sehr zufrieden über die neue Form und die Inhalte. Es kamen vermehrt Rückmeldungen, und diesmal sehr positive. Doch es löste auch etwas aus, was der Redaktion den Boden unter den Füßen wegzog. In Folge stiegen erst Thorsten Hartmann, dann Antonia Witt und schließlich auch Wolf-Dieter Musmann aus der Redaktion aus.
Über Umwege erfuhren wir, die Geschäftsführung der Freien Waldorfschule Saarbrücken-Altenkessel hatte einen Brief an die Schulen der Region geschrieben. Sie hatte die anderen Geschäftsführungen darin aufgefordert, es ihnen gleich zu tun, und die Unterstützung der "Keime für die Zukunft" sofort zu beenden. Grund wäre die inhaltliche Tendenz des Heftes und damit die der Redaktion. Konkret wären die Artikel auf der ersten und auf der letzten Seite "simplifizierend", "mystifizierend" und der Wortwahl nach dem politisch Rechten Spektrum nahestehend.
Als wir das mitbekamen stockte uns wochenlang der Atem. Erstens hatten wir uns sehr bemüht, konstruktiv und so neutral wie möglich zu formulieren, ohne unser Engagement für das Lebendige, die Demokratie und den Diskurs abzumildern. Zweitens erschreckte uns das Vorgehen der Geschäftsführung der Schule in Altenkessel. Seit wann, staunten besonders meine älteren Kollegen, durfte eine Geschäftsführung die Unterstützung einer derartigen Initiative wie der "Keime" selbstermächtigt kündigen, ohne vorher das Mandat der Selbstverwaltungs-Schulführung zu haben? Und aus welchem Geist heraus suchte man nicht die Auseinandersetzung mit der Redaktion, sondern forderte andere Unterstützer dazu auf, der eigenen, krassen Entscheidung Folge zu leisten?
Es brauchte lange und viel irritierende E-Mail-Kommunikation, bis es schließlich zu einem Gespräch der Beteiligten kam. Es fand in einem großen Saal der Waldorfschule Saar-Pfalz in Bexbach statt. Es wird mir wahrscheinlich ein Leben lang in Erinnerung bleiben.
Die acht Stühle der Teilnehmenden standen mit riesigem Abstand in einem großen Kreis. Alle hatten auf Anweisung eine Maske zu tragen. Anwesend war die Redaktion der "Keime für die Zukunft", die zwei Personen der Geschäftsführung Altenkessel und je eine Geschäftsführungspersonen aus Bexbach und Walhausen.
Was sich abspielte war ein Desaster. Wir machten unserem Unmut, um Ruhe bemüht, Luft und äußerten tiefste Bestürzung über den inhaltlichen Vorwurf, über die Tatsache, dass wir nicht direkt angesprochen, sondern hinterrücks angegriffen worden waren und darüber, dass eine Geschäftsführung derartiges überhaupt eigenmächtig ohne waldorfschulgemäße Basisdemokratie getan hatte.
Die Geschäftsführung der Waldorfschule Altenkessel versuchte, in deutlicher Verteidigungshaltung, zu erklären, dass sie aus Unsicherheit über die betreffenden Artikel beim Bund der Freien Waldorfschulen nachgefragt hatte, wie damit umzugehen sei. Dessen schriftliche Antwort sei wohl gewesen, man müsse sich davon eindeutig distanzieren. Das Schreiben an die anderen Schulen sei zudem eher vorsichtig und beratend gewesen; was nach unseren Informationen schlicht die Unwahrheit war. Zudem stellte sich uns deutlich dar, dass dezidiert ich die untragbare Person wäre, dessen Ausrichtung nun leider auch in die Redaktion Einzug erhalten hatte, und damit die Initiative "Keime für die Zukunft" eine Richtung bekommen hatte, die nicht mehr zu ertragen wäre. Wir kamen überhaupt nicht zueinander. Das ganze Gespräch war eine Farce.
Dieser Angriff auf die Redaktion, gepaart mit der Offenlegung der Handlungsweisen der selbstermächtigten Geschäftsführerinnen, war vielleicht ein Todesstoß. Davon hat sich die redaktionelle Arbeit, auch angesichts des Alters der Redakteure, nicht mehr erholt. Im April 2022 schafften wir es dennoch, den alten Initiativkreis zu einer Art "Sommerfest" zusammenzurufen. Wir berichteten ausführlich über die Geschehnisse rund um die Vorwürfe. Kein Mensch der zwanzig Anwesenden bejahte die Vorwürfe. Ganz im Gegenteil. Alle fanden die Ausrichtung der "Keime" explizit gut und wollten die Initiative weiterhin unterstützen. Wir machten jedoch etwas klar: Eine rein finanzielle Unterstützung reichte nicht mehr aus, um die "Keime" in die Zukunft zu bringen. Wenn es weitere Inhalte im Heft und auf der Webseite geben sollte, vielleicht sogar ein weiteres Treffen mit Menschen aus den Initiativen, müsste der Impuls und eine gewisse Tatkraft aus dem Unterstützerkreis oder von sonstwo kommen. Die Redaktion würde keine weiteren Impulse erschaffen können, um in Folge alleine die Umsetzung zu übernehmen. Es wurde also verkündet, dass die "Keime für die Zukunft" in der bisher bekannten Form nicht mehr bestehen würden, weil es im Grunde kein gemeinsames Arbeiten mehr gab. Würde sich Initiativkraft zeigen, würde die Redaktion weiterarbeiten. Alleine hatte sie keine Kraft mehr, die "Keime für die Zukunft" weiterzugestalten.
Heute, im April 2023 besteht die Redaktion noch aus Christian Schwarz in Bexbach und mir, der ich inzwischen in der Schweiz lebe. Seit dem Sommerfest wurde keine Initiative oder Idee an uns herangetragen. Die Idee, mit letzten Finanzen ein Themenheft zum Thema "Meinungsfreiheit" herauszugeben hängt zwar noch im Raum. Aber keiner hat bisher danach gegriffen, um sie zu realisieren.
Daher lege ich nun mein Engagement als Kernmitglied der Redaktion von "Keime für die Zukunft" nieder. Sollte versucht werden, ein Themenheft zu erstellen, könnte es möglich sein, dass ich meinen Kräften, Möglichkeiten und Kompetenzen gemäß daran mitarbeiten werde.
Es waren lehrreiche Jahre, und ich bin zutiefst dankbar für das entgegengebrachte Vertrauen und die Freiheit, verantwortlich, in lebendiger Gemeinschaft zu gestalten. Noch heute halte ich das dritte Heft in den Händen und denke, dass es nach Format, Inhalt und Kraft das Potenzial hat, der Keim für eine neue Blüte zu sein. Aktuell waren die Wachstumsbedingungen nicht gegeben. Einerseits trage ich den Keim als Schaffenskraft hier mit mir herum, andererseits liegt er in gedruckter Form im Saarland in einigen Haushalten und hoffentlich, besonders nach den geflossenen Worten des Sommerfestes, als schlummerndes Bedürfnis in den Herzen von Menschen. Vielleicht werden sich auch eines Tages erneut Menschen finden, die einen ähnlichen Impuls wie den Gründer der "Keime für die Zukunft" in den 1970er Jahren spüren und ihm Taten folgen lassen wollen.
Lassen wir die bisherigen "Keime für die Zukunft" nun welken und vergehen. Die Saat ist gesät. Wir werden sehen, wo die nächsten Keime sprießen – hoffentlich weder auf dem Weg, wo sie von Krähen gefressen werden, noch auf steinigem Grund, wo sie nicht wurzeln können, und auch nicht im Dornengestrüpp, wo sie nicht nach oben kommen. Mögen sie die gute Erde finden, die sie brauchen: starke Herzen.
Liebe Grüße
Axel Stirn
Witten, 19. April 2023
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